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Kurze Romananfänge

von

Robert Cohn

 

Aus Liebe getan

Tiefe Novembereinsamkeit umflorte das einsame Friesenhaus der Barone von Krüsch. Wie dürre Witwen neigte das Geäst der Föhren des Wernerwalds sich hinüber auf die schwarzen Wasser des leeren Goldfischteichs im Vorgarten. Dumpf flöteten die Göpel auf dem Weg zu ihren im schütteren Röhrichte der Duhner Heide versteckten Nestern. Doch hindurch durch all dieses unterweltliche Schweigen, durch dieses Vertröpfeln unvordenklicher Melancholie... erklang eine reine Frauenstimme wie von weither. Ihr silberner, überirdischer Klang schwebte über all dem dumpfen Nadelgehölz wie ein ferner Abglanz des Jenseits. Es war Eleonorens Stimme. Seit ihrer furchtbaren Krankheit, welche sie ihres Augenlichts, ihrer Schönheit und ihrer reizenden Jugend beraubt hatte, mochte sie ihre schlichte vertraute Dachkammer nicht mehr verlassen. Nur ihre geliebte Singstimme mit dem Klange reiner unschuldiger Glocken war Eleonoren geblieben ...

 

Jenseits von Döse

Wichard starrte auf seinen neuen Dell 3800+. All das fraß ihn auf. Wo waren die wichtigen Dinge geblieben? Wo die Jahre? All die Erfolgsfressen hier. All das Gerede über Kurgäste und Geld. Wer fand das nicht zum Kotzen. Die Anpasserei. Wichard sehnte sich nach dem Herbst auf Scharhörn. Isolde, ob sie noch lebte? Er wischte sich über das Kinn und tastete in seiner Sakkotasche nach dem letzten Rest Schwarzer Krauser. Scharhörn. Ja. ...

 

In Plüschpavillons

Ich lungere im Seepavillon. Wie immer Nachmittags in der Saison. Auf der Westseite natürlich, zur Grimmershörnbucht, wo sonst. In der Nähe des Ausgangs, denn man weiß ja nie. Gelehnt bin ich an eine der Marmorsäulen. Mein Leinenjackett wird nachher keinen einzigen Knitter haben. Ist eine Maßanfertigung aus Bederkesa. Neben mir lehnt Leonie, ihre Schultern pendeln vor und zurück, wenn sie ihr Haar herum wirft, sie hat letzte Nacht zu lange gefeiert. Ihr Haar macht dabei seltsame Laute, wie Bürsten auf Schlick. Dergleichen habe ich noch nie gehört.

Dabei haben wir miteinander schon vor langer Zeit bloß eine Affaire ausgemacht. Ich hatte ihr gesagt, dass ich es immer so halte, und sie hatte gesagt, „ich weiß“. Dann kam dieser glückliche Umstand, dass ich ins Programmkino nach Speckenbüttel musste, das heißt, es fiel mir eines Morgens ein, so halt, und Leonie bestand darauf, dass wir eine Affaire hätten und sie folglich mit müsste. Was sie dann tat. Aber nun sind wir wieder hier. Im Seepavillon natürlich, Grimmershörnbucht, wo sonst, auf der Westseite. ...

 

Das Grauen aus den Prielen

Das Meer vorm Deich gluckste wie eh und je, aber nur der alte Klütendahl wusste, warum. Da glucksten die schwarzen Wattenbolde, die keiner kannte. Außer ihm.

Der alte Klütendahl saß an seinem Fenster im Altenheim und lauschte in die Nacht. Bald würden sich die schwarzen Wattenbolde aus ihren Verstecken draußen im Schlick winden. Der alte Klütendahl kannte sie genau. Letzte Woche, bei Vollmond, waren die schwarzen Wattenbolde ganz nahe ans Haus geschlüpft. Er hatte ihre Stechzähne blitzen sehen - nach außen gebogen waren die. Heidi, die Schwesternschülerin, hatte gekreischt, weil sie da hinten etwas Schwarzes huschen gesehen hatte. Der alte Klütendahl hatte sie an ihren Zöpfen festgehalten und ihr die Geschichte von den Mahlzeiten der schwarzen Wattenbolde ins Ohr gemurmelt. Heidi war schreiend davongelaufen, und einen Tag später hatte sie per Einschreiben gekündigt. Als Nächster war der dicke Herr Lüttje dran, der Hauswart. Der besaß einen Fernseher und sah da immer diese Ökofilme vom wunderschönen Wattenmeer. Der alte Klütendahl wusste schon, dass dieser Glaube sein Verderben sein würde. Denn die schwarzen Wattenbolde glaubten nicht an Wunderschönes, sondern ans Verderben, und sie waren sehr hungrig ...

 

Mundraub ist auch ein Beruf

Die Mütze saß schief auf seinem kahlen Schädel. Von Bröse schlug den Kragen seines Trenchcoats hoch und schlich im Nebel die Schillerstraße entlang. Immer im Halbdunkel an den Häusern. Bei jedem Schritt klopfte es schwer an seine Hüfte. Für die alte 22er war seine Abfindung draufgegangen. Von irgendwas musste er ja künftig leben. Sonst war von Bröse nur der Trenchcoat geblieben.

Nichts als leere Bruchbuden hier. Die Erdgeschosse waren vernagelt. Kalter Staub pfiff vorbei. Wie hatte er bloß die SPD wählen können! Von Bröse haute sich an die Stirn, die Mütze verrutschte, die alte 22er schlug an seine Hüfte. So war sein Leben.

Er schlich weiter im Zwielicht. Der Magen knurrte. Nächste Straße rechts, immer im Schatten bis zum Hotel Stadt Ritzebüttel, da waren doch gerade diese grönländischen Fischer einquartiert, bei denen gab es vielleicht noch ein bisschen Räuchermakrele zu holen. Ja. Das Schloss an der Tür war Pipifax, und eins zwei drei glitt von Bröse ...

 

Jede frisst, was sie begehrt

Seidige Dämmerung, pinkfarbene Wolken und ein Hauch von Verruchtheit lagen in der Luft. Die Ritzebütteler Skyline hinter der Fensterfront sah wie die Kulisse für ein smartes Musical aus, wie eigens geschrieben für eins dieser Riesen-Events am Steubenhöft.

Runhild schnippte ein paar Fussel vom Glastisch und starrte nach draußen in den Sonnenuntergang. Drama und Wahnsinn hinter den Zacken des Wasserturms. Runhild fühlte sich wie ein Fisch im Wasser. Und gleich nachher ins Kurcafé Schnapp, den angesagtesten Laden der ganzen City! Endlich. Sandro würde auch da sein. Runhild schüttelte den Kopf, dass ihre schwarzen Haare um die Schultern flogen. Nein, der Kerl war ein Loser. Sie tastete in ihrer Handtasche nach seinem Liebesbrief, den wollte sie der Tresencrew vorlesen, Maggie, Tamara und Amélie. Instinktiv musste sie gleich an diese Folge neulich aus Sex And The City denken! Ja! Wie die immer ihre Ideen klauten! Und eine coole neue Handtasche bräuchte sie auch. Heute noch. Aus diesem ultimativen Outlet in der schicken Hermann-Allmers-Straße. Denn wirklich kein Mensch unter der Sonne würde dreimal mit der selben Handtasche ins total hippe Kurcafé Schnapp ...

 

Immer noch nicht Strichweg

Es sind die Schreie. Die Schreie der Robbenbabies. In der Badehausallee. Immer wenn es dunkel wird, höre ich sie. Wieder und wieder. Die Schreie. Lotterbeck hielt die Robbenbabies an den Flossen fest, bevor er schnitt. "Damit ich in die Augen seh", sagte er, bevor er schnitt. Das pelzige Knäuel in der Luft zappelnd, bevor er schnitt. Lotterbecks Faust oben dran. Die Schneide des Messers auf Pelz. Immer sein Blick in die Augen, bevor er schnitt. In der Badehausallee. Ein Zuschneiden wie ein automatisches Zucken der Hand. Das Schleifen der Schneide, gerade angesetzt. Das Schreien. Das Spritzen. Die Luftröhre eines Robbenbabies liegt nur zwei Millimeter unterhalb der Haut. Wenn eine Luftröhre durchtrennt ist, kann kein Schreien mehr sein. Lotterbeck schnitt. Sah in die Augen und schnitt. Das Schreien in der Badehausallee. Ich höre es noch immer. Wenn es dunkel wird. Die Lungen eines Robbenbabies fassen nicht mehr als sechs Kubikzentimeter Luft. Das Schreien dauerte. Lotterbeck schnitt. Das Schreien hörte nicht auf, in der Badehausallee. Nie. Ich höre es wieder und wieder ...

 

Ritzebütteler Rezessionen

Ich bin fett im Gesicht. Der Spiegel hat es gezeigt. Im Bad. Das seit voriger Woche nicht mehr zu heizen ist. Weil oben die Wand nachgegeben hat und die schwere Heizschlange runter in die Heizungs- Zuleitung gekracht ist. Nachts um drei. Seitdem leide ich an Schlaflosigkeit. Und kaputt ist sie auch. Die Heizschlange. Und die Zuleitung. Weil die Heizschlange an war. Das hält keine Zuleitung aus. Und einen Kurzschluss gab es. Er ist noch nicht repariert. Weil er zu schlimm ist. Muss ja alles neu gemacht werden. Ich kann keinen Elektriker bezahlen. Weil ich Nachts immer die Heizschlange angelassen habe. Das kostet. Und das Fenster klemmt auch seit vorigen Herbst und als ich heute früh ins Bad ging, herrschte da jetzt der reine Frost und überall war Eis. Das Wasser aus der Zuleitung, der kaputten. Vorher war da alles voller Wasser gewesen, aber jetzt war es Eis, alles voller Eis, und ich rutschte aus und knallte gegen den Spiegel, der runterfiel wie ich und der zersplitterte, und ich hatte sofort mehr Spiegelsplitter in den Füßen und den Knien, als in so einem Spiegel überhaupt drin sein können, und das Letzte, das ich sah, bevor ich mit der Stirn in den Spiegel reinkrachte, war, dass ich fett im Gesicht bin ...

Robert Cohn