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Durchgeknalltvon
Morgens Punkt halb sechs betrat ich das Postamt Altona. Mein Chef begrüßte mich und schob mich zu dem Platz, an dem ich die nächsten Wochen arbeiten sollte.
Diesen Job hätte einer wie ich eigentlich nie bekommen. Mein Lebenslauf bot, außer dem Zivildienst, nichts weiter als Schule. Meine Freundin Luna hatte jedoch den Personalchef bestochen. Sie verriet mir nicht, wie, bläute mir aber ein, dass ich in den nächsten Monaten genau das Geld verdienen musste, das wir brauchten, um unseren Traumurlaub in der Karibik bezahlen zu können. Dafür war ich bereit, alles zu machen, was man von mir verlangen würde.
Mein Chef beugte sich zu mir runter und legte mir väterlich die Hand auf die Schulter. „Vergessen Sie nicht: Einschreiben aufschreiben, Urkunden eintragen, Zahlungsanweisungen abholen, Wertstückbriefe unterschreiben. Alles einsortieren, in die Fahrradtaschen damit, raus zum Bezirk 4-36/48. Alles klar?“
Ich marschierte zu den Fächern und holte mir die Briefe für die Straßen, die in meinem Bezirk lagen. Ich setzte mich an meinen Arbeitstisch, nahm den ersten Brief und las die Adresse: Frische Fische – Hamburgs Fischladen Nummer 1, Hafenstraße 3. Ich suchte und suchte. Die Kollegin am Nachbartisch bemerkte es. Sie zeigte nach unten rechts.
Mein Chef kam noch einmal.
Die Einschreiben und die Wertbriefe müssen Sie immer an Ihrem Körper tragen. Sie müssen auch die anderen Sachen immer in Ihrem Blickfeld haben. Nur bei Hochlaufhäusern geht das nicht.“
Wenig später hörte ich ihn mit seinem Kumpel flüstern: Trotz Stadtplan verfuhr ich mich zweimal, bevor ich die Straße mit den Firmen fand, denen ich die Post zuerst zustellen sollte.
Die Dame am Empfang der letzten Firma guckte mich böse an. Durchhalten!
Ich stand vor dem Haus Nummer 47 und suchte die Briefkästen. Mir fiel ein, dass die meisten Briefkästen im Flur der Häuser angebracht waren. Hatte mir mein Chef nicht für jedes Haus einen Schlüssel gegeben?
„Ich wollte die Schlüssel abholen“, flüsterte ich. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf stieg. Ich dachte an die Szene beim Arbeitsamt, als mir der Berater mein Ergebnis vorlas, bei dem keine Berufsempfehlung herausgekommen war. Beim zweiten Versuch hatte Luna für mich den Fragebogen ausgefüllt. Ich nahm mir vor, das heutige Datum im Kalender rot anzukreuzen. Und alle weiteren Tage, an denen ich diesen bescheuerten Job aushalten würde.
„Warum bekomme ich meine Frühstückszeitung erst jetzt? Da kann ich ja gleich das Abendblatt kaufen“, rief ein Bewohner von Haus Nummer 49. Und bei Nummer 63 schimpfte der nächste:
Dem nächsten überbrachte ich ein Nachnahmepäckchen.
Draußen wunderte ich mich. Waren da nicht eben zwei Bündel mehr in der Tasche gewesen? Hatte mir die einer geklaut? Was sollte ich jetzt machen? Die Polizei rufen? Ich sah mich um. Vielleicht ein Dummejungenstreich? Streng dich an. Ich kam zum ersten Hochlaufhaus. Ich nahm den Katalog, die einzige Post, die ich für das Haus hatte, und rannte von Etage zu Etage, um den Empfänger zu finden. Auf dem Rückweg guckte ich noch einmal, fand aber den Namen wieder nicht. Wahrscheinlich war es ein Untermieter.
Ich hörte ein Handy klingeln. Meins konnte es zwar nicht sein, doch ich griff mechanisch in meine Tasche. Doch da war kein Handy mehr. Hatte ich es verloren? Oder wütend ins Gebüsch geschmissen? Ich kam mir blöd vor. Wenn ich die Bündel einfach oben auf die Kästen legen würde und die Mieter ihre Post selbst einsortierten, dann könnte ich die Zeitvorgabe meines Chefs einhalten. Aber so ...
Wieder stand ich in einem Hausflur. Ich hatte zwölf Briefkästen zur Auswahl und nur zwei Briefe und eine Postkarte. Die Briefkästen waren fast unleserlich beschriftet. Ich nahm die Postkarte, betrachtete das rote Herz, drehte sie um und las: Ich warf die Karte in den richtigen Briefkasten. Dann betrachtete ich meine Hände. Sie waren rot. Wo kam das her? Schnell wischte ich mir die Hände am Hemd ab und stolperte aus dem Haus. Die anderen Briefe steckte ich in die Tasche für unzustellbare Post.
Ein Nachbar sah mein rotverschmiertes Hemd und lachte: Bei Haus Nummer 66 gab es keine Schwierigkeiten, bis ich den letzten Brief anfasste. Er war heiß und roch nach Fischsuppe. Ich jonglierte ihn zwischen meinen Fingern, warf ihn in irgendeinen Briefkasten und sprang zurück, für den Fall, dass die Suppe unten rausspritzte. Vor der Tür bekam ich einen Schreck. Mein Rad war umgefallen. Die Post flog durch die Gegend. Auf der anderen Seite der Straße lehnten sich zwei alte Frauen aus dem Fenster und sahen zu, wie ich die Kurz- und Langbriefe aus den Pfützen holte, gerade als es wieder anfing zu regnen. Ich stellte mein Fahrrad auf den Ständer und versuchte, die Briefe in der richtigen Reihenfolge zu ordnen. Ich taumelte über den Bürgersteig hinein in das Haus Nummer 34. Dort war der Briefkasten zu klein. Ich versuchte die Briefe hineinzustopfen, aber es ging nicht. Also zerriss ich sie. Da passte es. Vor der nächsten Briefkastenanlage musste ich niesen. Ich ließ die Post fallen. Plötzlich tanzten die Briefkästen vor meiner Nase und ich konnte sie nicht fangen.
Eine Blondine kam rein. Sie begutachtete mich, während ich über den Boden robbte und auf jeden Werbezettel etwas Unanständiges schrieb.
Die Anwohner schrieen: „Hau ab, du Würstchen.“
„Und wen haben wir da?“, fragte der neue Pfleger den Irrenarzt. 2006Marc Lehmann
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